Ankünfte auf Lampedusa – Solidarität und Widerstand angesichts der europäischen Aufnahmekrise!

Nach der Ankunft einer Rekordzahl von Menschen auf der Flucht auf der Insel Lampedusa bringen wir als Zivilgesellschaft unsere tiefe Besorgnis über die Sicherheitsmaßnahmen der europäischen Staaten und die Aufnahmekrise zum Ausdruck und bekräftigen unsere Solidarität mit den Menschen, die in Europa ankommen.

Mehr als 5.000 Menschen und 112 Boote: Das ist die Zahl der Ankünfte auf der italienischen Insel Lampedusa am Dienstag, den 12. September. Die Boote, von denen die meisten autonom ankamen, kamen aus Tunesien oder Libyen. Seit Jahresbeginn haben insgesamt mehr als 118.500 Menschen die italienische Küste erreicht, fast doppelt so viele wie die 64.529 Menschen, die im gleichen Zeitraum des Jahres 2022 gezählt wurden (1). Trotz der großen Zahl vergessen wir nicht, dass hinter jeder Zahl ein Mensch steht, eine individuelle Geschichte, und dass immer noch Menschen bei dem Versuch, Europa zu erreichen, ihr Leben verlieren.

Auch wenn Lampedusa seit langem ein Ziel für Menschen ist, die in Europa Zuflucht suchen, sind die Aufnahmeeinrichtungen der Insel unzureichend. Am Dienstag kam bei der chaotischen Rettung eines Bootes ein fünf Monate altes Baby ums Leben, das ins Wasser fiel und sofort ertrank, während weiterhin Dutzende von Booten im Handelshafen anlegten. Mehrere Stunden lang saßen hunderte von Menschen ohne Wasser und Nahrung auf der Pier fest, bevor sie in den Hotspot von Lampedusa gebracht wurden.

Der Hotspot ist ein Aufnahmelager, in dem die Neuankommenden von der lokalen Bevölkerung ferngehalten werden. Sie werden dort vorab identifiziert und ausgewählt, bevor sie auf das Festland verlegt werden. Das Lager verfügt mit seinen nur 389 Plätzen über keinerlei Kapazitäten, um die täglich auf der Insel ankommenden Menschen würdevoll aufzunehmen. Seit Dienstag sind die Mitarbeiter*innen des Lagers mit der Anwesenheit von 6.000 Menschen völlig überfordert. Das Rote Kreuz und Mitarbeiter*innen weiterer Organisationen wurden aus „Sicherheitsgründen“ daran gehindert, die Einrichtung zu betreten.

Am Donnerstagmorgen begannen viele Menschen aufgrund der unmenschlichen Situation aus dem Hotspot zu fliehen, indem sie dessen Zäune überwunden. Angesichts des Versagens der italienischen Behörden, den Menschen einen würdevollen Empfang zu bereiten, hat die lokale Solidarität die Oberhand gewonnen. Viele lokale Bewohner*innen engagieren sich, um Lebensmittel für die Menschen, die in der Stadt Zuflucht gefunden haben, zu organisieren und zu verteilen (2).

Darüber hinaus prangern verschiedene Organisationen die politische Krise in Tunesien sowie die humanitäre Notlage in der Stadt Sfax an, von der aus die meisten Boote nach Italien fahren. Derzeit schlafen etwa 500 Menschen auf dem Beb Jebli-Platz, die kaum Zugang zu Nahrungsmitteln oder medizinischer Versorgung haben (3). Die meisten von ihnen waren gezwungen, aus dem Sudan, Äthiopien, Somalia, Tschad, Eritrea oder Niger zu fliehen. Seit den rassistischen Äußerungen des tunesischen Präsidenten Kais Saied sind viele von ihnen aus ihren Häusern und von ihren Arbeitsplätzen vertrieben worden (4). Andere wurden in die Wüste deportiert, wo einige sogar verdursteten
Im Andauern dieser Massenabschiebungen und während sich die Lage in Sfax weiter verschlechtert, hat die EU vor drei Monaten ein neues Migrationsabkommen mit der tunesischen Regierung geschlossen, um „wirksamer in den Bereichen Migration”, Grenzschutz und „Kampf gegen den Schmuggel“ zusammenzuarbeiten, wofür über 100 Millionen Euro bereitgestellt wurden. Die EU stimmte diesem neuen Abkommen zu – in voller Kenntnis der Gräueltaten, die die tunesische Regierung verübt hat, einschließlich der Angriffe der tunesischen Küstenwache auf Boote mit Fliehenden (5).

Wir beobachten mit Besorgnis, wie die verschiedenen europäischen Regierungen ihre Grenzen verschließen und das Recht auf Asyl und grundlegende Menschenrechte nicht gewährleisten. Während der französische Innenminister angekündigt hat, die Kontrollen an der italienischen Grenze zu verstärken, erklärten mehrere andere EU-Mitgliedstaaten, dass sie ihre Grenzen ebenfalls schließen würden. Im August beschlossen die deutschen Behörden, die Auswahlverfahren für Asylbewerber*innen, die im Rahmen des „freiwilligen Solidaritätsmechanismus“(6) aus Italien nach Deutschland kommen, einzustellen.

Die Präsidentin der Europäischen Kommission von der Leyen, die am Sonntag von Meloni nach Lampedusa eingeladen wurde, kündigte einen 10-Punkte-Aktionsplan an, der die sicherheitspolitische Reaktion bestätigt (7). Die Verstärkung der Kontrollen auf See zu Lasten der Pflicht, Menschen aus Seenot zu retten, die Beschleunigung der Abschiebungen und die Intensivierung der Auslagerung der Grenzen… alles alte Antworten, die die Europäische Union seit Jahrzehnten gibt und die sich als gescheitert erwiesen haben, die die Krise der Solidarität nur noch verschärft und die Situation von Menschen auf der Flucht nur noch verschlechtert haben.

Die unterzeichnenden Organisationen fordern ein offenes und willkommenheißendes Europa und fordern die EU-Mitgliedstaaten auf, sichere und legale Fluchtwege und menschenwürdige Aufnahmebedingungen zu schaffen. Wir fordern, dass in Lampedusa sofort angemessen gehandelt wird und dass die internationalen Gesetze, die das Recht auf Asyl schützen, eingehalten werden. Wir sind erschüttert über das ständige Sterben auf See, das durch die EU-Grenzpolitik verursacht wird, und bekräftigen unsere Solidarität mit den Menschen auf der Flucht.

Unterzeichner:innen

Afrique-Europe-Interact
Alarme Phone Sahara (APS)
Alarme Phone Sahara – Mali
Alternative Espaces Citoyen – Niger
Anafé (association nationale d’assistance aux frontières pour les personnes étrangères)
Another Europe is Possible
ARCOM – association des réfugiés et communautés migrantes au Maroc
Are You Syrious?
Associazione studi giuridici sull’immigrazione (ASGI)
Association AFRIQUE INTELLIGENCE
Association Beity
Association d’aide des Migrants en Situation Vulnérable (AMSV) Oujda / Maroc
Association des Etudiants et Stagiaires Africains en Tunisie (AESAT)
Association Féministe Tanit
Association Lina Ben Mhenni
Association de solidarité avec les travailleurS/euses immigré.es (ASTI) des Ulis / France
Association pour la promotion du droit à la différence (ADD)
Association pour les Migrants-AMI, Nîmes, France
Association Sentiers-Massarib
Association Tunisienne de défense des libertés individuelles (ADLI)
Association Tunisienne pour les droits et les libertés (ADL)
Aswat Nissa
Avocats Sans Frontières (ASF)
Association Damj
BELREFUGEES, Plateforme Citoyenne / Belgium
borderline-europe- Menschenrechte ohne Grenzen
Boza Fii – Sénégal
CCFD-Terre Solidaire
CGTM Mauritanie
Chkoun Collective
Coalition des Associations Humanitaires de Médenine
Coalition Marocaine pour la Justice Climatique
Collectif Droit de Rester, Lausanne
Comité de Vigilance pour la Démocratie en Tunisie – Belgique
Comité pour le respect des libertés et des droits de l’homme en Tunisie (CRLDHT)
CompassCollective
Connexion
Damj l’association tunisienne de la justice et légalité
DZ Fraternité
E-Joussour Portail Maghreb-Machrek
Emmaüs Europe
European Alternatives
Fédération des tunIsiens citoyens des deux rives (FTCR)
Forum des Alternatives Maroc
Groupe de Recherche et d’Actions sur les Migrations (GRAM), Bamako / Mali
Groupe d’information et de soutien des immigré.e.s (Gisti)
iuventa-crew
Jeunesse Nigérienne au service du Développement Durable (JNSDD) – Agadez / Niger
Komitee für Grundrechte und Demokratie e.V.
La Cimade
La coalition tunisienne contre la peine de la mort
LasciateCIEntrare
Ligue Algérienne pour la Défense des Droits de l’Homme (LADDH)
Ligue des droits de l’Homme (LDH) – France
Ligue tunisienne des droits de l’homme (LTDH)
Maldusa
medico international
Mem.med:mémoire Méditerranée
Mediterranea Saving Humans
Migrants’ Rights Network
migration-control.info project
Migreurop
Mouvement des Progressistes
MV Louise Michel
Observatoire Marocain de la Protection Sociale
Paris d’Exil
Pro-Asyl
Push-Back Alarm Austria
r42-SailAndRescue
Refugees in Libya
Refugees in Tunisia
ResQ – People Saving People
RESQSHIP
Salvamento Marítimo Humanitario (SMH)
Sea-Watch
Sea-Eye
Seebrücke – Schafft sichere Häfen
Solidarité sans frontières (Sosf)
SOS Balkanroute
SOS Humanity
Statewatch
Tunisian Forum for Social and Economic Rights (FTDES)
Union des travailleurs immigrés tunisiens (UTIT)
United4Rescue
Vivre Ensemble | asile.ch
Watch the Med Alarm Phone
Welcome to Europe network
Zusammenland gUG/ MARE*GO
Association Tunisienne de l’Action Culturelle (ATAC)

Quellen:
(1) Reuters, „Italy’s Lampedusa island hit with record migrant arrivals“, 12 septembre 2023
(2) Maldusa, “Lampedusa’s Hotspot System: From Failure to Nonexistence”, 14 septembre 2023
(3) Déclaration „Urgence humanitaire au Gouvernorat de Sfax : la société civile tire la sonnette d’alarme face à une situation inacceptable”, 14 septembre 2023
(4) Migration-control.info-project, „Mass deportations and EU externalisation in Tunisia: Press Review and Critics“, 2 août 2023
(5) Alarm Phone, „Deadly policies in the Mediterranean: Stop the shipwrecks caused off the coast of Tunisia“, December 19, 2022
(6) La Repubblica, “ Migranti, da Berlino stop ad accoglienza dei richiedenti asilo dall’Italia“, 12 septembre 2023
(7) Europäische Kommission,“Press statement by President von der Leyen with Italian Prime Minister Meloni in Lampedusa“, 17 septembre 2023

TROTAMAR III – 50 Menschen gerettet

21. Juli 2024

In den Nachmittagsstunden hat die Trotamar III gemeinsam mit der Aurora von @seawatchcrew insgesamt 122 Menschen gerettet. 50 Menschen befinden sich jetzt an Bord der Trotamar III, 72 Menschen an Bord der Aurora.Die Menschen waren in einem nicht seetüchtigen Doppeldeck-Holzboot unterwegs, ohne Wasser, Essen und Rettungswesten sowie ohne genügend Kraftstoff, um einen sicheren Hafen zu…

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TROTAMAR III startet einen neuen Einsatz

17. Juli 2024

Unsere neue Crew ist am 13. Juli in Licata eingetroffen! Adam, Astrid, Tabea, Theresa und Teun werden gemeinsam mit Skipper Matthias den fünften Einsatz im Jahr 2024 auf der Trotamar III fahren und in den nächsten Wochen die zivile Seenotrettung im Mittelmeer unterstützen.Die Crew hat bereits mit den Vorbereitungen auf dem Schiff begonnen und hat…

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Die Crew der Trotamar III hat 64 Menschen aus akuter Seenot gerettet.

22. Juni 2024

Am 21.06.2024, ab den frühen Morgenstunden, assistierte die Crew der Trotamar III einem Schlauchboot in Seenot und versorgte die Menschen mit Rettungswesten. Die zuständigen Koordinierungsstellen für Seenotrettung reagierten allerdings nicht auf den Notruf, den die Crew nach der Sichtung des Bootes abgesetzt hatte.Als gegen 11 Uhr die sogenannte Libysche Küstenwache vor Ort auftauchte, sprangen einige…

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TROATAMAR III sucht Boot in Seenot

17. Juni 2024

Die Crew der TROATAMAR III war heute auf der Suche nach einem in tunesischen Territorialgewässern treibenden Boot. Das Boot scheint am 10. Juni in Sfax gestartet zu sein und treibt seitdem ohne Wasser und Nahrung vor der Küste Tunesiens. Aus Verzweiflung haben die Menschen anscheinend begonnen, Seewasser zu trinken.Alarmiert durch Alarmphone nahm heute Nachmittag die…

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Trotamar III beginnt Suche

15. Juni 2024

Heute morgen gegen 8 Uhr hat die Trotamar III Lampedusa in Richtung der tunesischen Fluchtroute verlassen. Die sechsköpfige Crew unter Skipper Matthias sucht nun nach Menschen in Seenot, um ihnen mit den an Bord zur Verfügung stehenden Mitteln zu helfen. Die tunesische Route ist momentan eine der wichtigsten Passagen für Geflüchtete, die von der afrikanischen…

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Einsatz #4 beginnt: Wir nehmen Kurs auf Lampedusa

12. Juni 2024

Heute hat die TROTAMAR III den Hafen von Licata auf Sizilien verlassen und Kurs auf Lampedusa genommen. An Bord ist eine gut vorbereitete sechsköpfige Crew unter Skipper Matthias. Gemeinsam werden sie in den kommenden Tagen die zivile Seenotrettung im Mittelmeer unterstützen. An Bord unseres Segelschiffes befindet sich umfangreiches Rettungsmaterial, mit dem wir Menschen in Seenot…

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Vorbereitungen für Einsatz #4

11. Juni 2024

Die vierte Crew dieses Jahres bereitet sich mit Skipper Matthias auf den Einsatz vor. Elly aus den Niederlanden, Enora aus Frankreich und Fabienne, Luca und Martin aus Deutschland haben bereits das Training im Hafen von Licata begonnen, um gut vorbereitet die zivile Seenotrettung im Mittelmeer zu unterstützen. Neben einer Bootseinweisung standen eine Inventur der medizinischen…

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Klimastreik zur Europawahl!

27. Mai 2024

Am kommenden Freitag, 31. Mai, ist Klimastreik zur Europawahl! Die Klima Aktionsgruppe Hitzacker ruft zu einer Demo in Dannenberg auf: Das Klima schützen, die Demokratie erhalten & klare Kante gegen Rechts zeigen! –> Infos: https://klimastreik-wendland.de/ Der Klimawandel ist eine der bedeutsamsten Gründe, weshalb Menschen heutzutage fliehen müssen. Landwirtschaft ist in vielen Regionen Afrikas aufgrund steigender…

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Demokratie verteidigen – Aufruf zur Demo in Salzwedel

25. Mai 2024

Für eine starke Demokratie überall in Europa: Rechtsextremismus stoppen – Demokratie verteidigen mit Demos vom 23. Mai bis 8. Juni 2024 im ganzen Land! Im Kontext dieses bundesweiten Aufrufs eines breiten Bündnisses rufen wir mit auf zu einer Demonstration in Salzwedel am 7. Juni. Unsere Demokratie ist in Gefahr. Demokratie bedeutet auch: Jeder Mensch darf…

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Vorträge in Bad Bevensen und Salderatzen

23. Mai 2024

Auf Einladung des SPD-Unterbezirk Uelzen/Lüchow-Dannenberg werden am 24. Mai ab 16 Uhr Katja und Matthias im AWO-Treff, Bahnhofstr. 1, 29549 Bad Bevensen über unsere Einsätze an der EU-Außengrenze berichten. Am 7. Juni folgt ein zweiter Vortrag in Salderatzen / Wendland.

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